Eichhörnchen

Lebensweise und Systematik

Übersicht

Lebensweise

Aktivität

Eichhörnchen klettert kopfüber
Eichhörnchen klettert kopfüber
Nest eines Eichhörnchens
Kobel eines Eichhörnchens

Eichhörnchen sind tagaktiv. Die Tiere klettern sehr geschickt und bewegen sich stoßweise voran, ihre Bewegungen sind sehr schnell und präzise. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie einen Baumstamm oder eine raue Hausfassade hinauf- oder mit dem Kopf voran hinunterklettern. Wenn sie abwärts klettern, drehen sie ihre hinteren Pfoten nach außen und hinten. Mit einem Sprung können die Tiere leicht Entfernungen von vier bis fünf Metern überbrücken. Eichhörnchen wagen sich wegen ihres geringen Gewichtes auch auf sehr dünne Zweige, dabei bewegen sie sich stets springend vorwärts und sind damit jedem Verfolger absolut überlegen. Auch auf dem Boden bewegen sie sich in Sprüngen, nicht im Galopp wie andere Vierbeiner; dabei sind sie relativ langsam und können leicht von Hunden und Katzen gegriffen, auf Straßen auch von Autos überfahren werden. Immer öfter wird beobachtet, dass Eichhörnchen als deutliche Kulturfolger auch an Hausfassaden herumklettern, sofern es dort mehr als die absolut glatte Wand gibt, und sich auf Balkonen und Dachterrassen füttern lassen bzw. selbst mit Nahrung (z. B. Vogelfutter aus Vogelhäuschen) versorgen.

Zum Schlafen und Ruhen bauen Eichhörnchen Nester, die Kobel genannt werden. Das sind hohlkugelförmige Bauten. Sie werden in einer Astgabel oder an der Basis eines Astes platziert, normalerweise in Höhen über sechs Metern. Der Durchmesser des Nestes beträgt etwa 30–50 cm, während der Innendurchmesser bei 15–20 cm liegt. Der Kobel wird aus Zweigen, Nadeln und Blättern errichtet, innen wird er mit Moosen, Blättern und Gras ausgepolstert. Er ist beinahe wasserdicht; durch die dicke Wandstärke bietet er im Winter einen guten Wärmeschutz. Die Kobel haben mindestens zwei Schlupflöcher, von denen eines immer nach unten weist, weil Eichhörnchen, anders als Vögel, von unten in ihre Behausung gehen.

Der Bau eines Kobels dauert etwa drei bis fünf Tage. Da es recht häufig vorkommt, dass die Tiere wegen Parasiten­befall oder Störungen umziehen müssen, bauen sie zwei bis acht Nester und nutzen alle Nester in unregelmäßigem Wechsel. Dabei wird zwischen Schlafkobeln für die Nacht und Schattenkobeln für Ruhephasen am Tage unterschieden. Auch werden verlassene Höhlen von Spechten gern genutzt, ebenso verlassene Vogelnester als Fundament für den Kobel.

Das Eichhörnchen ist ganzjährig aktiv, es hält keinen echten Winterschlaf. Allerdings kann es in strengen Wintern verminderte Aktivität zeigen, bei der es das Nest nicht verlässt (Winterruhe). In sehr warmen Sommern halten sie in ihren Kobeln ausgiebigen Mittagsschlaf. An heißen Tagen streifen sie dann nur sehr früh am Morgen oder am Abend umher, um sich mit Nahrung zu versorgen.

Raumorganisation

Der Aktionsraum eines Eichhörnchens variiert je nach Gegend. Auf Inseln gibt es Tiere mit Aktionsräumen von unter einem Hektar, während diese im Bayerischen Wald bis 47 ha groß sein können.

Männchen haben größere Aktionsräume als Weibchen. In England betragen die der Männchen 23–40 ha, die der Weibchen 14–26 ha. Die Aktionsräume verschiedener Individuen überschneiden einander. Wenn Weibchen Junge haben, verringern sie die Größe ihres Aktionsraums. Innerhalb dieses Gebiets werden Wege und Aufenthaltsorte mit Urin und mit einem Sekret der Kinndrüsen markiert.

Sozialverhalten

Eichhörnchen sind meist Einzelgänger. Nur zur Paarungszeit verfolgen die Männchen die Weibchen innerhalb der Baumkronen. Jedoch leben sie gelegentlich auch außerhalb der Fortpflanzungszeit in Gesellschaft; dann nutzen mehrere Tiere denselben Kobel. Innerhalb einer Gruppe dominieren die größeren und älteren Tiere. Männchen sind größeren und älteren Weibchen gegenüber nicht unbedingt dominant, allerdings dominieren sie Weibchen gleicher Größe und gleichen Alters.

Ernährung

Eichhörnchen gehören zu den Allesfressern. Dabei variiert die Nahrung der Tiere je nach Jahreszeit. Sie besteht in erster Linie aus Beeren, Nüssen und anderen Früchten sowie Samen. Daneben werden auch Knospen, Rinde, Baumsaft, Blüten, Flechten, Körner, Pilze, Obst und wirbellose Tiere wie beispielsweise Würmer gefressen. Auch Vogeleier und Jungvögel sowie Insekten, Larven und Schnecken gehören zum Nahrungsspektrum. Typischerweise wird die Nahrung beim Fressen in den Vorderpfoten gehalten.

Eichhörnchen verbrauchen die Samen von bis zu 100 Fichtenzapfen pro Tag; durchschnittlich sind es täglich 80–100 g. Eichhörnchen unterscheiden sich beim Fichtenzapfenschälen von anderen Nagern dadurch, dass sie die Deckschuppen der Zapfen mit ihrer großen Körperkraft einfach abreißen. Dagegen müssen zum Beispiel Mäuse die Schuppen abbeißen, um an die nahrhaften Samen zu gelangen. Eichhörnchen öffnen Haselnüsse und Walnüsse innerhalb weniger Sekunden. Mit den unteren Schneidezähnen nagen sie mit schabenden Bewegungen zunächst ein Loch in die Nuss. Ist das Loch groß genug, setzen sie die unteren Schneidezähne wie einen Hebel ein und sprengen ein Stück Schale heraus. Dies ist ein erlerntes Verhalten; es ist nicht angeboren. Eichhörnchen benötigen zusätzlich aufgenommenes Wasser.

Eichhörnchen legen im Herbst Vorräte für den Winter an. Dafür ist es wichtig, dass sie ausreichend Nahrung finden, um die Vorratslager zu füllen. Nicht immer gelingt dies, in strengen Wintern verhungern unter Umständen viele der Tiere. Sie vergraben die Nahrung entweder im Boden, oft in der Nähe von Baumwurzeln, oder verstauen sie in Rindenspalten oder Astgabeln als Wintervorrat. Im Kobel lagern sie keine Vorräte. Die Einlagerung im Boden erfolgt immer gleich: Loch scharren, Nahrung hineinlegen, zuscharren, die Erde festdrücken, mit der Schnauze nachstoßen.

Im Winter dienen die Vorräte oft als einzige Nahrungsquelle. Werden die eingegrabenen Vorräte vergessen, beginnen die Samen im Frühjahr zu keimen. Deshalb spricht man den Eichhörnchen eine wichtige Rolle bei der Erneuerung und Verjüngung des Waldes zu. Für das Wiederfinden der im Herbst gesammelten Nahrung ist der Geruchssinn sehr wichtig. Auch wenn sich Eichhörnchen einige ihrer vergrabenen Vorräte merken, sind sie doch nicht fähig, sich alle Verstecke einzuprägen.

Das Vergraben von Vorräten ist ein Verhalten, das man vor allem bei den Populationen der europäischen Laub- und Mischwälder findet. In borealen Nadelwäldern fehlt dieses Verhalten meistens, da die immer zur Verfügung stehenden Zapfen als Winternahrung dienen können.

An manchen Orten kommt es infolge Angewöhnung vor, dass freilebende Eichhörnchen dargebotene Nahrung direkt aus der Hand von Menschen fressen, wie beispielsweise beim sogenannten Eichhörnli-Weg in Arosa. Im Leipziger Clara-Zetkin-Park bedienen sich Eichhörnchen ohne Scheu aus den Taschen von auf Parkbänken sitzenden Menschen. Im Park des Pillnitzer Schlosses bei Dresden kann man die Tiere ebenso mit der Hand füttern.

Eichhörnchen fressen Pilze, die für Menschen giftig sind.

Eichhörnchen beim Fressen
Eichhörnchen beim Fressen einer Nuss
Angefressene Nuss
Benagte Haselnuss
Eichhörnchen frisst aus der Hand eines Menschen
Zahmes Eichhörnchen

Fortpflanzung und Entwicklung

Paarung

Abhängig von Lebensraum und Nahrungsangebot sind ab Ende Dezember Paarungen zu beobachten. Die Männchen werden durch Vaginalsekrete angelockt, die von den brünstigen Weibchen verströmt werden. Bei den Annäherungsversuchen kommt es zu wilden Verfolgungsjagden. Sind die Weibchen noch nicht zur Paarung bereit, kommt es zu Kämpfen.

Sobald das Weibchen paarungsbereit ist, werden die Paarungsjagden zu einem Spiel. Vor der Begattung gibt das Weibchen etwas Harn ab. In manchen Fällen kann es jedoch Tage dauern, bis es tatsächlich zur Paarung kommt. Ist es soweit, umklammert das Männchen die Lenden des Weibchens und begattet es von hinten, mit aufgestelltem Schwanz.

In den meisten Jahren gibt es zwei Paarungszeiten, eine im Winter, eine weitere ab dem späten Frühjahr mit Wurf zwischen Mai und August. Stehen am Jahresbeginn zu wenig Nahrungsressourcen zur Verfügung, kann die erste Paarungszeit entfallen. Treffen mehrere Männchen bei einem Weibchen ein, kann es zu aggressivem Verhalten mit Schreien und Bissen kommen. Eichhörnchen sind polygyn – die Männchen verlassen das Weibchen bald wieder und suchen neue Partnerinnen, mit der Aufzucht der Jungen haben sie nichts zu tun. Hält sich ein Männchen bis zur Geburt der Jungen in der Nähe des Weibchens auf, wird es spätestens jetzt vom Weibchen verbissen. Das Männchen wehrt sich selbst dann nicht, wenn es deutlich stärker als das Weibchen ist (Beißhemmung); das Männchen räumt dann kampflos das Feld.

Jungenaufzucht

Nach einer Tragzeit von 38 Tagen kommen ein bis sechs Junge im Kobel zur Welt. Sie sind bei der Geburt nackt, taub und blind (Nesthocker) und haben ein Gewicht von etwa 8,5 g. Die Körperlänge beträgt etwa 6 cm, die Schwanzlänge bis zu 3 cm.

Die jungen Eichhörnchen sind nach drei Wochen vom ersten Haarflaum vollständig bedeckt; gleichzeitig brechen die ersten Zähne durch. Die Jungen öffnen nach 30–32 Tagen die Augen. Zwischen dem 37. und dem 41. Tag brechen die oberen Schneidezähne durch den Kiefer. Nach sechs Wochen verlassen sie erstmals das Nest, nach acht bis zehn Wochen werden sie nicht mehr gesäugt und suchen selbständig nach Nahrung. Bei Gefahr reagieren die Mütter sehr schnell und tragen ihre Jungen im Maul in einen Ausweichkobel.

Die Jungtiere bleiben noch einige Monate in der Nähe des mütterlichen Nestes. Geschlechtsreif werden Eichhörnchen schon nach elf Monaten, doch meistens ziehen sie erst nach zwei Jahren selbst Junge groß. Etwa 80 Prozent der Jungtiere überleben das erste Jahr nicht.

Überlebt ein Eichhörnchen die ersten sechs Monate, verbleibt eine durchschnittliche Lebenserwartung von drei Jahren. Selten werden Eichhörnchen sieben, in Gefangenschaft auch bis zu zehn Jahre alt.

Eichhörnchen mit Jungtier
Eichhörnchen mit Jungtier
schlafendes Jungtier
Eichhörnchen-Jungtier
mehrere Wochen altes Eichhörnchen
Eichhörnchen, mehrere Wochen alt
Eichhörnchen trägt Jungtier
Eichhörnchen transportiert sein Jungtier in Tragestarre

Fressfeinde und Parasiten

Zu den natürlichen Fressfeinden des Eichhörnchens zählt der Baummarder. Er klettert fast so geschickt wie das Eichhörnchen. Während das Eichhörnchen am Tage durch sein geringeres Gewicht im Vorteil ist, überrascht der nachtaktive Baummarder das Eichhörnchen gern im Schlaf. Weitere Feinde sind die Wildkatze, der Uhu, der Habicht und der Mäusebussard. Den Greifvögeln können die Eichhörnchen häufig entkommen, indem sie in kreisenden Bewegungen um den Baumstamm herumlaufen. In höchster Not kann sich das Eichhörnchen aus großer Höhe bis zum Boden fallen lassen, ohne sich zu verletzen. Junge Eichhörnchen fallen in den Kobeln oft Wieseln zum Opfer. In Parks und Gärten ist die Hauskatze der größte Feind des Eichhörnchens.

Eichhörnchen werden von vielen Ektoparasiten befallen. Die wichtigsten sind der Eichhörnchenfloh (Monopsyllus sciurorum) und die Eichhörnchenlaus (Neohaematopinus sciuri).

Bei Untersuchungen von Eichhörnchen in Großbritannien wurden Erreger der Lepra nachgewiesen, die teilweise auch zu tödlichen Erkrankungen führten. Bei den nachgewiesenen Bakterien Mycobacterium leprae handelt es sich den Untersuchungen der Arbeitsgruppe zufolge wahrscheinlich um einen Stamm, der sich nach einer Epidemie unter Menschen bei den Hörnchen gehalten und entwickelt hat. Neben diesen wurde als zweite Art auch Mycobacterium lepromatosis nachgewiesen.

Systematik

Das Eurasische Eichhörnchen wird als eigenständige Art innerhalb der Gattung der Eichhörnchen (Sciurus) eingeordnet, die heute aus insgesamt 28 Arten besteht. Die wissenschaftliche Erstbeschreibung stammt von Carl von Linné, der die Art im Jahr 1758 in der 10. Auflage seines Systema Naturae als eine der ersten Hörnchenarten beschrieb und sie auch bereits der von ihm erstbeschriebenen Gattung Sciurus als einer von sechs Nagetiergattungen zuordnete. Diese enthielt neben dem eurasischen Eichhörnchen auch die amerikanischen Fuchshörnchen S. niger und S. cinereus, das Europäische Gleithörnchen (S. volans, heute Pteromys volans), das Atlashörnchen (S. getulus, heute Atlantoxerus getulus), das Streifen-Backenhörnchen (S. striatus, heute Tamias striatus) sowie die nicht zuzuordnende Art Sciurus flavus.

Variationen der Fellfarbe und der Morphologie führten zur Beschreibung von mehr als 40 Unterarten des Eichhörnchens. So ändert sich in Europa die Färbung von Süden nach Norden und Nordosten in ein reineres Grau. In einigen Gegenden kommen gleichzeitig rötliche und schwärzliche Typen vor. Vom Ural aus gesehen, wird das Fell nach Westen flacher und heller, die Färbung ist in Westeuropa und Mitteleuropa rötlich bis dunkelrot. Nach Osten wird das Fell voller und dunkler, am dunkelsten ist es in Ostsibirien. Der taxonomische Status einiger Unterarten ist unsicher, und die Anzahl der anerkannten Unterarten unterscheidet sich von Autor zu Autor. Die folgende Systematik mit 23 Unterarten sowie der Zuordnung einiger Synonyme folgt Thorington und Hoffmann (2005). Die Angaben zur Verbreitung basieren auf Sidorowicz (1971), Wiltafsky (1978), Gromow und Jerbajewa (1995) sowie Hoffmann und Smith (2008).